Mit einem Wismarer über die Gebirgsbahn

Ein Fotorückblick von Jan Borchers (Bahnfotokiste)

Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsfreunde Lüneburg e.V. (AVL) engagiert sich seit 1981 für die Geschichte und den Erhalt der Infrastruktur und der Fahrzeuge der Osthannoversche Eisenbahnen AG (OHE). „Reichte“ es in früheren Jahren, historische Fahrzeuge im Bestand zu haben und diese zu restaurieren, hat sich in den letzten Jahren die Eisenbahnlandschaft nicht nur in Deutschland grundlegend gewandelt.

Die AVL gründete in diesem Zusammenhang 1997 die Touristik-Eisenbahn Lüneburger Heide GmbH (TEL) als Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) und 2010 die Bleckeder Kleinbahn Verwaltungsges. UG als Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU), um den Betrieb rund um den HEIDE-EXPRESS auf zeitgemäße Beine zu stellen. Im Laufe der Jahre konnte ein repräsentativer Schnitt durch die Geschichte der OHE-Fahrzeuge gesichert und meist für den Betrieb wieder aufgearbeitet werden.

Einer der recht neu im AVL-Bestand befindlichen Fahrzeuge ist der DT 0511. Der bei der Waggonfabrik Wismar gebaute Triebwagen der Bauart „Lüneburg“ wurde 1934 vom Landeskleinbahnamt der Provinz Hannover bestellt und noch im selben Jahr an die Kleinbahn Lüneburg-Soltau GmbH ausgeliefert und mit der Betriebsnummer SK 2 in Dienst gestellt. In den letzten Jahren bei der OHE war der Triebwagen meist von Celle Nord aus im Touristikeinsatz und vertrat oder ergänzte den VT 0508, ein Wismarer Schienenbus der Bauart „Hannover“. 2006 wurde der Triebwagen an die Ilmebahn GmbH aus Einbeck verkauft, die ihn bis Ende 2018 im Ausflugsverkehr einsetzte. 2019 konnte die AVL den zum Verkauf ausgeschriebenen Triebwagen übernehmen. Im Nachgang einer Sonderfahrt nach Lüneburg konnte die Rücküberführung nach Winsen heute für eine Fotofahrt genutzt werden.

In sechs Stunden von Lüneburg nach Winsen, eine Verbindung für die der Metronom eine Fahrzeit von 10 Minuten benötigt – der Weg ist das Ziel! Hier durchfährt der DT 0511 den Bf Rettmer mit seinem markanten Trocknungssilo des örtlichen Landhandels. Im vergangenen Jahr wurde mit der Erneuerung der einstigen Stammstrecke des einstigen SK 2 und heutigem DT 0511 – der „Gebirgsbahn“ Lüneburg – Soltau begonnen, welche sich seit Jahresbeginn 2022 in Form der Schieneninfrastruktur Ost-Niedersachsen GmbH (SInON) wieder im Eigentum des Landes Niedersachsen befindet.

Durch den Zusammenschluss der Kleinbahnen in der Provinz Hannover gelangte der Triebwagen am 1. Januar 1944 zur Lüneburg-Soltauer Eisenbahn GmbH und ein gutes halbes Jahr später am 16. Juni 1944 zur OHE, wo er als DT 00511 in das Nummernschema aufgenommen wurde. Die OHE setzte ihn ab Ende der 40er bis Mitte der 50er Jahre von Celle Nord aus ein. Nach einem rund einjährigen Einsatz vom Bw Lüneburg Süd aus ging das Fahrzeug in das Eisenbahnausbesserungswerk Bleckede, wo es von 1958 bis 1960 grundlegend umgebaut wurde und das heutige Aussehen erhielt – die Motortechnik wurde seinerzeit wo möglich an die Technik der damals hochmodernen GDT-Triebwagen angepasst.

Das „heutige Aussehen“ muss dabei auf die Zeit von Juli 1969 bis Juli 1975 reduziert werden, da der DT 0511 erst im Jahr 1969 gummigefasste Frontfenster erhielt. Zwischen 1975 und 2006 hatte der Triebwagen eine rot/cremé-farbene Lackierung, welche bei der Ilmebahn durch eine weitgehende Lackierung wie zu OHE-Zeiten ersetzt wurde.

Hier steht DT 0511 im einstigen Betriebsmittelpunkt der Gebirgsbahn, dem Bf Melbeck-Embsen zur Fahrt nach Hützel bereit. Im Zuge der Streckensanierung 2021 wurden im nördlichen Bahnhofsbereich bereits zahlreiche Gleise abgebaut. Südlich von Melbeck-Embsen hat die Streckenerneuerung aktuell noch nicht begonnen. Im April 2020 bestand die Gelegenheit, in Melbeck-Embsen einen klassischen OHE-Güterzug in Szene zu setzen.

Abfuhr von Holz macht einen nicht geringen Teil des Güterverkehrs auf den früheren OHE-Strecken aus, das hier zu sehende Holz stammt allerdings vom Streckenfreischnitt entlang der Trasse – das Frühjahr 2022 war von Stürmen geprägt. Hier der DT 0511 im Bf Heinsen. Falls sich wer über die verschiedene Bezeichnung DT und VT wundert (DT steht durchaus auch für Dampftriebwagen), das OHE-Schema unterschied nach Dieseltriebwagen (DT) und Vergasertriebwagen (VT).

Markant die Ausfahrt des Bf Heinsen mit dem Gut Heinsen. 2015 hatte eine kleine Fotografenrunde den GDT 0518 für eine Fotofahrt gechartert, das Wetter war den Fotografen leider alles andere als gnädig. Warten auf Sonne hatte damals (fast) keine Chance. Heute war bester Sonnenschein für das Postkartenmotiv mit DT 0511.

Hier am Haltepunkt Schafstall, welcher von der AVL zur Anbindung des Historischen Schafstall Amelinghausen eingerichtet wurde.

Bei der Modernisierung ab 1958 tauschte das EAW Bleckede die trommelgebremsten Achsen gegen Achsen mit größerem Raddurchmesser und einer innenliegenden Scheibenbremse. Das gegenüber den Wismarer Schienenbussen vom Typ Hannover ohnehin größer konstruierte Fahrzeug wurde höher und der Dachgepäckträger entfernt. Ein neuer Deutz-Motor vom Typ A6L614 ersetzte den alten Motor von Daimler-Benz, das Getriebe wurde gegen ein neues von Mylius ausgetauscht. Der Umbau veränderte das Triebwagenäußere durch die nun normalen Zug- und Stoßeinrichtungen und die neuen Signallampen.

Nach dem Umbau ging das Fahrzeug am 30. Mai 1960 wieder in Betrieb und wurde bis zum Ende des Personenverkehrs auf der OHE vom Bw Winsen(Luhe) aus eingesetzt. Zusammen mit dem VT 0508 hat das Fahrzeug bis ins neue Jahrtausend bei der OHE im Ausflugverkehr überlebt und wurde bei Bedarf vom Bw Celle Nord aus eingesetzt. Haupteinsatzgebiet waren die Fahrten von Soltau nach Döhle als Verstärker oder Ersatztriebwagen für den VT 0508.

Nachdem im Jahr 2006 die Untersuchungsfristen abgelaufen waren, wurde das Fahrzeug abgestellt und an die Ilmebahn GmbH aus Einbeck verkauft. Die Ilmebahn ließ den DT 0511 im „Bw13“ in Celle aufarbeiten und nahm ihn am 27. September 2007 wieder in Betrieb. Unter dem Namen „Ilmeblitz“ war der Triebwagen für Sonderfahrten auf der rund 5 km langen Strecke zwischen Einbeck und Einbeck-Salzderhelden im Einsatz.

Durch die Reaktivierung der Strecke für den Personenverkehr Ende 2018 verlor der Triebwagen sein Einsatzgebiet und stand zum Verkauf, die AVL konnte das Fahrzeug zur weiteren Erhaltung als früheres OHE-Fahrzeug erwerben. Seit September 2019 ist der DT 0511 wieder in seiner alten Heimat und kam heute auf seiner früheren Stammstrecke zum Einsatz.

Bei Soderstorf der DT 0511 an einem einsamen Feldwegübergang. Das recht neue Warnschild für den Bahnübergang ist deutlich verblichener als das schon alte 20 km/h-Schild, wo die längst unzulässige Angabe „km“ einfach überklebt wurde. Wenn da eine Gruppe Fotografen – zum Teil mit Leiter – in der Gegend rumsteht, muss der örtliche Dackel natürlich genau hinsehen, was da passiert …

Einsam im Wald gelegen ist der frühere Hp Grevenhof am Weg „Kleine Raubkammer“.

Das südliche Ziel der Fahrt von Lüneburg nach Winsen, der Bf Hützel ist erreicht. Die Reste der technischen Anlagen aus der Zeit der Fernsteuerstrecke aus Celle zeugen noch heute von der früheren Bedeutung des Bahnhofs. Der Abzweig nach Winsen wird von der OHE (jetzt SInON) weiterhin ferngesteuert.

Im Bahnhof Hützel wurde bis 1956 ein mechanisches Einheitsstellwerk errichtet, das Bahnhofsgebäude wurde dabei um einen Vorbau für das Stellwerk erweitert. Seit 1973 war der Bahnhof Bestandteil der Fernsteuerstrecke Soltau – Hützel, die Anlage von SEL wurde zum 1. April 2000 außer Betrieb genommen.

Im Laufe des Nachmittags zog es allmählich zu, in Eyendorf mit seiner markanten Baumreihe an der Salzhausener Straße war das mehrfach erprobte „Warten auf Sonne“ mit entsprechendem Erfolg angesagt.

Bei Gödenstorf der DT 0511 mit einem recht idyllischen Feldwegübergang.

Am Bf Toppenstedt in der südlichen Ausfahrt entstand das letzte Motiv der Fahrt. Auf dem angrenzenden Fußballplatz des TSV Auetal war derweil mächtig Betrieb, jedes Tor wurde mit großen Fanfaren gefeiert …

Im Bf Winsen Süd kam es abschließend noch zum Zusammentreffen von zwei Vertretern der Wismarer Schienenbusse. Links der VT 0508 und rechts der DT 0511.

Der VT 0508 ist ein Vertreter der markanten Bauform Hannover (Typ A), der bei der OHE auch den Kosenamen „Ameisenbär“ erhielt und für die wohl bekanntesten Vertreter der Schienenbusbauarten der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts steht.

1937 bestellte das Landeskleinbahnamt der Provinz Hannover eine Reihe von Triebwagen bei der Waggonfabrik Wismar – der spätere VT 00508 wurde am 13. Dezember 1937 als T 3 an die Kleinbahn Winsen-Evendorf-Hützel GmbH (WEH) geliefert, welche am 10. Juli 1944 in die OHE aufging. Bis 1972 war der VT 0508 noch im Betriebsbestand der OHE, zuletzt als Reservefahrzeug. Ab 1973 wurden in den Sommermonaten mit dem VT 0508 regelmäßig Ausflugsfahrten des Verkehrsvereins Soltau von Soltau nach Döhle veranstaltet, zuletzt unter dem Betreiber erixx. Seit der Corona-Pandemie ruhte der Betrieb der Ausflugsfahrten, er wurde nicht wieder aufgenommen.

Erixx fährt seit Dezember 2021 in der Heide nicht mehr und die OHE selbst bietet keinen Personenverkehr an. Recht kurzfristig bot sich zu Jahresbeginn 2022 für die AVL die Chance, den VT 0508 von der OHE zu übernehmen. Am 17. Februar 2022 wurde der Kaufvertrag unterschrieben und das Fahrzeug anschließend nach Winsen überführt. Hier treffen sich die – die Sammlung an früheren OHE-Fahrzeugen abrundenden – Neuzugänge der AVL aus dem Hause Waggonfabrik Wismar vor dem Schuppen in Winsen Süd.

Ein herzlichen Dank an die Aktiven der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsfreunde Lüneburg e.V. für die Ermöglichung der heutigen Szenen!