Großdiesel über der Ilmenau

Ein Fotorückblick von Jan Borchers (Bahnfotokiste)

Im Vorwege der heutigen Tour war die Wetterprognose ziemlich finster, zwei Orkantiefs sollten in kurzer Folge über den Norden Deutschlands ziehen, beide mit Windgeschwindigkeiten in Böen von bis zu 160 km/h. Dem Sturm in der Nacht und am Morgen sollte ab dem frühen Abend Regen folgen – aber zwischendurch auch einige Stunden Sonne. Da die Fotosession eh ohne Zeitdruck geplant war, wäre vor Ort ein „Aussitzen“ problemlos. Blieb als Variable die Anreise inmitten einer Sturmwarnung – und nach einer Orkannacht. Der Blick am Morgen aus dem Fenster zeigte, dass der Sturm nachts real gewütet hatte, aber deutlich abgeflaut war – die Tour konnte beginnen.

Am späten Vormittag in Lüneburg Süd angekommen liefen die Rangierarbeiten für den zu bildenden Zug und es wurde so ziemlich alles bewegt, was rollen konnte. So auch die Lok 2 (57675/63) der AVL, auf die der Titel des Beitrags allerdings nicht ganz passt… Die 1963 von Deutz als Lok für Industriebahnen gebaute Lok vom Typ KS 55B wurde an die Hamburger Flugzeugbau GmbH (HFB) in Finkenwerder geliefert und kam 1997 als Geschenk der Daimler-Benz Aerospace AG (DASA) zur Arbeitsgemeinschaft Verkehrsfreunde Lüneburg e.V. (AVL), sie wurde bis 2006 als „Hofhund“ im typischen OHE-Stil hergerichtet.

Auf die sechsachsige 2000 92 (57650/64) trifft der Titel dann schon deutlich eher zu, die DG 2000 CCM war die größte und leistungsstärkste Diesellok, die Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) je gefertigt hat. Drei Loks wurden 1963/64 ab Werk als DG 2000 CCM gebaut, weitere wurden aus vierachsigen Loks umgebaut. Die drei DG 2000 CCM wurden an die Osthannoversche Eisenbahnen AG (OHE) geliefert und erhielten dort die Nummern 2000 91 bis 93. Die 2000 93 verunglückte 1979 in Celle, wurde 1981 ausgemustert und 1983 an die Westfälische Landeseisenbahn GmbH (WLE) verkauft, welche die Lok bei Thyssen in Kassel wieder aufbauen ließ.

Die 2000 91 wurde noch bis August 2000 von der OHE im Güterverkehr eingesetzt und mit Fristablauf abgestellt. Die 2000 92 wurde noch bis Mai 2003 eingesetzt und mit Motorschaden kurz vor Fristablauf abgestellt. Beide Loks gingen über einen Zwischenhändler 2007 an die Voith Turbo Lokomotivtechnik GmbH & Co. KG in Kiel, welche aus der 2000 91 bis 2011 eine praktisch neuwertige Revita Twin 1700 CC mit neuen Aufbauten herrichtete. Der identische Umbau der 2000 92 war vorgesehen, aber bis auf eine teilweise Ausschlachtung der Lok nicht mehr durchgeführt. Im Sommer 2021 wurde die Lok an die AVL verkauft, welche die Lok in den kommenden Monaten einer optischen Aufarbeitung als 2000 92 „LÜNEBURG“ unterziehen will. Eine betriebsfähige Aufarbeitung ist derzeit nicht vorgesehen.

Hier zeigt sich der neue Star im Bestand der AVL neben weiteren ex-OHE-Fahrzeugen. Rechts die 230 41, welche zur Hauptuntersuchung ansteht und daneben die 295 970, die 1972 an die Bayerische Braunkohlen-Industrie AG geliefert wurde und 2002 zur OHE kam, wo sie bis 2011 im Einsatz blieb. Nach einem zwischenzeitlichen Verkauf an die northrail GmbH ist die Lok seit 2020 bei der Bahnbau Nord GmbH aus Henstedt-Ulzburg, welche die Lok in den Unternehmensfarben lackierte. Links der OHE-Sambawagen 1990 des AVL-Museumszuges, welcher frisch in roter Farbgebung neu lackiert wurde. Der zweite Wagen des dreiteilig erhaltenen OHE-Sambazuges befindet sich in fortgeschrittener Aufarbeitung.

Zwischen den sonnigen Phasen zogen auch einige Schauerzellen durch, so hier als 2000 92 das Gelände des Bw Lüneburg Süd verlässt. Doch das aktuelle Satellitenbild zeigte eine größere wolkenfreie Zone im Anzug, so dass während des Regenschauers zum Aufbruch gerufen wurde.

Entlang des Spechtsweg zweigt die OHE-Trasse nach Soltau von der höherliegenden Trasse nach Dannenberg ab, welche einst Bestandteil der durchgehenden Verbindung Wittenberge – Buchholz der Berlin-Hamburger Eisenbahn-Gesellschaft (BHE) war und 1874 eröffnet wurde.

Das Ziel der Ausfahrt ist erreicht, die Querung der Ilmenau, noch im Stadtgebiet Lüneburg. Der Bereich zählt bahnbetrieblich zum Bf Lüneburg Süd. Die Sonne kam passend heraus und die Kameras klickten im Sekundentakt. Das letzte Mal der Querung durch die 2000 92 ist rund 20 Jahre her – Ende 2013 gab die OHE den im Auftrag von DB Cargo durchgeführten Güterverkehr auf, Ende 2016 liefen Bestandsschutz und Beschäftigungsgarantie zehn Jahre nach dem weitgehenden Verkauf der OHE an ARRIVA und die Verkehrsbetriebe Bachstein aus.

2021 machte die Politik in Niedersachsen aus Sorgen um den weiteren Erhalt der Strecken des OHE-Netzes den Verkauf der Infrastruktur wieder rückgängig und gründete dafür als neuen Betreiber und Eigentümer die Schieneninfrastruktur Ost-Niedersachsen GmbH (SInON). Der Güterverkehr wird weiterhin von der Havelländische Eisenbahn AG (HVLE) durchgeführt, die die restlichen Rangierleistungen der OHE zum 1. Oktober 2016 übernommen hatte. Die OHE hatte in der jüngeren Vergangenheit mehrfach erfolgreich an Ausschreibungen für Regionalverkehre teilgenommen, die OHE betreibt diese Netze über die Tochterunternehmen erixx GmbH bzw. erixx Holstein GmbH.

Mit dem letzten Foto auf der Ilmenauquerung verschwand die Sonne und der Zug fuhr zurück in den Bahnhof, hier während eines Regenschauers entlang des Amselweg auf einer Brücke, die bei DB Netz vermutlich bis zur endgültigen Baufälligkeit und Neubau keine Sanierung gesehen hätte.

Zurück in Lüneburg Süd wechselt der von der DB übergebene Güterzug wie einst vom DB-Teil auf die OHE-Infrastruktur, gut beobachtet von den früheren Verwaltungsräumen der OHE in Lüneburg im Werkstattgebäude des Bw Lüneburg Süd.

Ist hier eine genaue Zeitbestimmung möglich? Abgesehen von der 1994 eingeführten (und 1995 bei der 2000 92 aufgebrachten) neuen OHE-Farbgebung mit den großen OHE-Lettern ist hier (fast) die Zeit stehengeblieben.

Sinnbildlich für den Tag, Sonne, Wolken und Regen. Die 2000 92 spiegelt sich in einer der zahlreichen Pfützen.

Am Abend wurde der Neuzugang der AVL noch für stimmungsvolle Aufnahmen vor dem Domizil der AVL in Lüneburg Süd in Szene gesetzt. Links 2000 92, daneben der GDT 0518, dessen Geschichte anlässlich einer Fotofahrt im April 2013 vorgestellt wurde. Rechts die 46-01, eine MaK 600 D (500013/55) von 1955, die im August 2021 näher beleuchtet wurde.

Eine die letzten Jahre nur unscheinbar wahrnehmbare Lok ist die links stehende D.L. 00601 (11399/41), die seit 2011 zur grundlegenden Aufarbeitung außer Betrieb ist und nun vor der Fertigstellung steht. Die Lok vom Typ WR 200 B14 wurde 1941 von der BMAG für das Oberkommando des Heeres in Berlin gebaut, welches die Lok der Munitionsfabrik Munster-Lager Süd zuteilte. Vermutlich 1945 wurde die Lok von der OHE übernommen. Sie versah hauptsächlich den Rangierdienst in Celle Nord und übernahm kleinere Bedienfahrten. Im Mai 1953 ging die Lok im Tausch gegen einen Triebwagen von Christoph & Unmack zur Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn (NME).

Das von den bei der DB als V20 bezeichneten Loks der Bauart WR 200 B14 abweichende Aussehen erhielt die D.L. 00601 1967, als ein neuer Motor von MAN eingebaut wurde. Der neue Motor besaß einen Elektroanlasser, wodurch die Anlassluftflaschen entfernt und der Motorvorbau verkleinert werden konnte – dadurch konnten im Führerstand größere Fenster eingebaut werden, die der Lok das ungewohnte Äußere gaben und den Beimann verzichtbar machten. Seit 1992 ist die Lok im Bestand der AVL.

Zum Abschluss noch ein Foto der DG 2000 CCM. Die Lok wird sich künftig wieder im originalen Outfit und mit dem Loknamen LÜNEBURG präsentieren. Durch die teilweise Ausschlachtung der Lok im Vorwege der Modernisierung zur Revita Twin 1700 CC ist keine Betriebsfähigkeit absehbar. Aber zumindest die technische Komplettierung der Lok ist keine unlösbare Aufgabe.

Den Aktiven der AVL mein herzlicher Dank für die unkomplizierte Durchführung der Veranstaltung inmitten einer Orkanwarnung, wo am Ende aber das Wetter perfekt mitspielte und die Sonne zu den geplanten Szenen schien, der Regen erst passgenau mit der Ankunft daheim einsetzte.